Es gibt viele Menschen deren Nervensystem schreit bereits sehr lange - jedoch verdrängen sie es und spüren nur hin und wieder einen kleinen Stich - das etwas gar nicht so gut läuft...
Anstatt hinzusehen in sich selber, flüchten sie in Süchte, weitere Abhängigkeiten, Manipulationstechniken, selbstzerstörerische Verhaltensmuster ... - immer tiefer und tiefer in den Sog weiterer verschiedenster Abhängigkeiten - oft bis zur kompletten Selbstverzweiflung und ohne noch einen Funken Kraft in Geist und Körper zu besitzen. Die Last drückt so schwer, dass das Leben nur mühevoll und unter enormer Kraftanstrengung noch zu leben ist. Und doch machen sie genauso weiter...
Ich war genug Da (über Co-Abhängigkeit und weitere unsichtbare Fesseln)
Mein Herz klopft vor Freude, wenn jemand mich braucht. Mein Selbstwert ist ein Schatten an der Wand, der nur auftaucht, wenn ich mich um andere kümmern kann. Ich bin süchtig. Nach Anerkennung, Verbindung. Nach Bedeutung. Nach dem Blick, der mich spüren lässt: „Ich bin nicht zu viel, ich werde geliebt und gesehen.“
Ich habe gelernt, dass Liebe Leistung ist. Dass ich mich um die Emotionen der Familie kümmern muss. Früher die Sorgen der Mama sehen, die Wut des Papas tragen, und auch Geschwister schützen. Ich habe einen Radar... für Schmerz, für Spannung, für das, was kippen könnte. Und ich greife ein, bevor es kippt. Immer. Weil schlimmer als die eigene Verzweiflung sind die Tränen und der Schmerz der Mutter. Manche nennen solche Menschen wie mich Helfer. Aber kaum jemand nennt mich einsam. Denn ich wirke stark. Tough. Kümmernd.
Aber darunter: mein Nervensystem auf Alarm. Mein Körper im Überlebensmodus. Mein Herz, das nie gelernt hat, sich fallen zu lassen und vor allem sich selbst zu halten.
Ich bin Künstler des Dramas. Nicht aus Gier. Sondern, weil Drama mein Zuhause war. Weil Stille verdächtig war. Weil das Nervensystem nur hochfährt, wenn etwas passiert. Weil ich an einem Ort der Unsicherheit groß geworden bin. Auch wenn das keiner glaubt und keiner je mitbekommen hat.
Ich renne... von Beziehung zu Beziehung, von Projekt zu Projekt, von Krise zu Krise - von einem HOCH zum nächsten TIEF.
Oder bleibe, bis zur fast absoluten Erschöpfung und Selbstaufgabe. Halte einfach durch, opfere mich komplett auf. Ich bin brillant darin, andere retten zu wollen. Aber katastrophal darin, mich selbst zu halten.
Und dann irgendwann... kommt der unvermeidbare Break. Mein Körper schreit nur noch "NEIN !". Mein Herz ist schachmatt. Meine Seele zieht sich zurück. Krankheit. Ein Unfall. Depression. Zusammenbruch. Oder einfach: eine tiefe, seltsame Müdigkeit, für die es keinen Namen gibt.
Und dann beginnt der Entzug. Vom Gesehenwerden. Vom Gebrauchtwerden. Vom Drama. Von der Funktion.
Und plötzlich ist es still. Zu still. Zu leer. Zu echt.
Und das ist verwirrend. Denn niemand hat gesagt, dass Heilung auch bedeutet, durch diese Leere zu gehen. Durch das Nicht-mehr-gemeint-Sein. Durch das Nicht-mehr-retten-können.
Ein Entzug beginnt. Und ja... vielleicht werde ich nicht ganz entspannen können wie andere. Vielleicht werde ich nicht „normal“ lieben, nicht vollständig glauben, dass ich genug bin, wenn ich einfach nur bin. Aber ich kann anfangen.
Zu stoppen. Zu lauschen. Zu atmen.
Nicht für andere. Sondern für mich. Und ich darf mich endlich spüren. Nicht in den Schmerzen der anderen... sondern in meiner eigenen, leisen Wahrheit.
Nicht jeder kann bleiben, wenn ich aufhöre wie früher zu funktionieren.
Auch werde ich durch eine Achterbahn der Gefühle und Zweifel gehen... verwaist sein und im körperlichen Schmerz...
Co-Abhängigkeit ist wie Sucht nach Heroin, das mir ohne meine Zusage verabreicht wurde. Weil es durch die Adern des Familiensystems fließt.. seit Generationen. Und so hart ist auch der Weg dort heraus.
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Anmerkung:
Es gibt so unglaublich wenig Aufklärung über die Tragweite von Co-Abhängigkeit. Wie tief sie greift und welche Dimensionen sie annehmen kann. Wie schmerzhaft sie einen betäubt. Wie sehr sie den Alltag durchzieht...
… wie ein Nebel, den andere nicht sehen, aber du atmest ihn jeden Tag ein.
Ein diffuses Gefühl von „Ich bin irgendwie auf dem falschen Weg, tief in mir spüre ich es, aber ich kann nicht aufhören mich zu verlieren.“ Und das Schlimmste ist sehr oft: Die Scham.
Die tiefe, alte, klebrige Scham, die sagt: „Du bist zu bedürftig. Zu dramatisch. Zu anstrengend. Du übertreibst. Das ist doch krank. Du bist nicht ganz normal. Warum findest Du nicht den Weg aus dieser Situation? Ist doch ganz EINFACH !“
Dabei ist Co-Abhängigkeit eine Sucht. Eine Überlebensstrategie. Ein Kindheitsvertrag, der nie gekündigt wurde. Aber genau deshalb muss darüber mehr gesprochen werden. Damit eines Tages weniger Menschen schweigen müssen und mehr Menschen wissen:
Du bist nicht falsch - Du bist verletzt - Du bist nicht allein - Du kannst und darfst heilen.